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Nicht veröffentlichtes

 "Intellektuelle Lufthoheit?" ND v. 15./16.4.2006
Wärmestube.
Ob der PDS-nahe Verein "Helle Panke" nicht auch eine "Wärmestube" gewesen sei, wollte Karlen Vesper vom Vorsitzenden des Vereins aus Anlass des 15jährigen Bestehens des Vereins erfahren. Ob jeder Leser weiß, was mit der „Wärmestube“ gemeint ist?  Dieses Wort " wurde von Dietmar Keller, damals Mitarbeiter der PDS-Bundestagsfraktion, aufgebracht. Er meinte damit den Unterschlupf  von DDR-Staatsnahen in der PDS und verlangte, dass sie dafür aber auch  - wörtlich - "die Klappe halten" sollten. Jörn Schütrumpf und die Redaktion von "utopie kreativ" benannten Unterschlupfe, Nischen, in denen  sich solche Leute festgesetzt  hätten: den GNN-Verlag, die Gesellschaft für Bürgerrecht und Menschenwürde u.a. Den Startschuss für solche Politik und Geisteshaltung in der PDS gab Andrè Brie, der 1999, als die Rosa-Luxemburg-Stiftung erstmals Mittel aus dem Bundeshaushalt erhielt, erklärte, "abgehalfterte "DDR-Wissenschaftler" hätten dort nichts zu suchen. Es ist seitdem klar, an wen man sich auch wenden muss, wenn nach den vielen DDR-Gesellschaftswissenschaftlern gefragt wird, von denen  nach der Wende nichts mehr zu hören war. Wieviele der von der „Hellen Panke“ herausgegebenen 100 Hefte zur DDR-Geschichte, auf die der Verein zu Recht stolz ist, wären wohl erschienen, wenn alle „Wärmestuben“-Insassen sich so verhalten hätten, wie von ihnen verlangt wurde? Ich vermute, nicht eines. Die der Aufforderung „Klappe halten“nicht folgten, mussten jedenfalls ein Maß an Selbstverleugnung aufbringen, das fast an Charakterlosigkeit grenzt.
Harry Nick

Unveröffentlicht, abgelehnt von ND, Freitag

Wende zum Weniger?

Das direkte Gegenteil eines Fehlers ist oft ein anderer Fehler

All zu sehr muss man sich nicht wundern über die in der politischen Linken wieder lauter werdenden Stimmen gegen Wirtschaftswachstum, „Konsumusmus“ und das, was Robert Kurz „Arbeitsvergottung“ nennt.  Ein verhängnisvoller Wachstumspfad infolge ökologisch und sozial fehlgesteuerten Wachstums,  ein Wachstumsfetischismus, der  hemmungsloses Wachstum  als universelles Heilmittel gegen alle wirtschaftliche und soziale Gebrechen ausgibt; ein „Konsumismus“, der den  Konsum  als Voraussetzung für  Wachstum und nicht in erster Linie als Bereicherung menschlichen Lebens  sieht, parasitären Konsum in unzählbaren Schattierungen erzeugt; ein Verständnis von Arbeit, das sie nur als Wachstumsfaktor versteht – all dies muss Widerspruch. Widerstand hervorrufen.

Die Frage ist aber, ob in den alternativen Vorstellungen vieler politisch Linker sich nicht wieder nur die Wahrheit des Wortes von Kurt Tucholsky erweist, dass das direkte Gegenteil eines Fehlers oft bloß ein anderer Fehler ist. Diese „anderen Fehler“  haben offenbar Konjunktur.

Das von der Regierung dargereichte Wundermittel „Wachstum“ sei Quacksalberei, meint Daniela Dahn „Denn kein seriöser Ökonom könnte verbindliche Aussagen machen, wie viel Wachstum wie viel Arbeitsplätze schaffen würde.... Wir können mit weniger Konsum leben und damit mit weniger Geld, dafür mehr Zeit für Erholung, Freunde und Bücher“ (ND 21.3.05) Und Gabriele Gillen schreibt in ihrem sehr lesenswerten Büchlein  Hartz IV, (Rowohlt 2004): „Der Glaube an das Arbeitsplätze schaffende Wirtschaftswachstum ist ein reines Märchen.“  Zu Ludwig Erhardts Zeiten mag  Wirtschaftswachstum eine solche Wirkung gehabt haben; aber da   „hatten noch nicht alle beinahe alles“  Gabriele Gillen fragt:„Wo ist die Katastrophe, wenn wir nur noch die gleiche Menge an Gütern und Dienstleitungen produzieren... Für drei Prozent Wachstum müssen die heute Zwanzigjährigen in 25 Jahren doppelt so viel konsumieren wie heute. Deren Kinder wiederum müssen nach weiteren 25 Jahren schon das Vierfache an Gütern und Dienstleitungen bewältigen. Und die nächste Generation das Achtfache. Eine komplett irrsinnige Idee.“  Immer wieder ist zu hören: Wachstum sei etwas Unorganisches, Widernatürliches; in der Natur gäbe es solches Wachstum nicht: Bäume wüchsen eben nicht in den Himmel.

Die Verzichtsstrategien haben in der PDS Geschichte. Sie haben tatsächlich bewirkt, dass in manchen früheren Wahlprogrammen, Parteiprogrammentwürfen die Forderung nach Steigerung der Massenkaufkraft nicht mehr erhoben wurden.

„Im Unterschied zu früheren Zeiten, als die realen Bedürfnisse über den Produktionsmöglichkeiten lagen, liegen sie heute darunter.“ Der Vorrat an sinnvoller Produktion, sinnvoller Arbeit gehe also zur Neige, weil sinnvolle Bedürfnisse hinter den Produktionsmöglichkeiten zurückbleiben würden. Die Folgerung: „Einkommen und Verbrauch (sind) nur in Übereinstimmung zu bringen, wenn die Arbeitszeit reduziert wird“ (ND v. 25.2.98) „Die Forderung nach Stabilisierung oder gar Erhöhung der Massenkaufkraft ist unvereinbar mit den ökologischen Weichenstellungen“ „Wenn die PDS an dieser Argumentation festhält, verspielt sie jede Möglichkeit, eine glaubhafte Alternative zu SPD und Grünen zu werden“.( Disput 2/1998)

Die Linken nehmen Vorstellungen über das „Ende der Arbeitsgesellschaft“ auf, die zunehmend nicht mehr  als bedauerliches Faktum, sondern als hoffnungsvolle Vision angesehen wird. „Die rückwärtsgewandte Vollbeschäftigungsnostalgie ist die letzte Bastion, die mit Zähnen und Krallen verteidigt wird, damit die wirklich großen, drängenden Fragen der Zweiten Moderne nicht offen hervorbrechen“ meint der Soziologe Ulrich Beck.  Er zeichnet Wege von der Arbeits- zur Bürgergesellschaft;  sieht das  Ende der (Erwerbs)arbeitsgesellschaft als eine Chance der Befreiung des Menschen.  Bürgergeld  bzw. „Grundeinkommen“ für alle, Muße und freie Tätigkeiten an Stelle organisierter Arbeit, Definition des Menschen nicht vornehmlich durch Arbeit, sondern durch eine neue Bürgerlichkeit, durch  Bürgersinn, Bürgeraktivität.  Dies ist auch  der wesentliche Inhalt des Buches von Wolfgang Engler Bürger, ohne Arbeit (Aufbau Verlag 2005). Diese Herabsetzung der Rolle der Arbeit führt im Extremfall bis zu ihrer Verächtlichmachung: Die Gruppe Krisis  beklagt  in ihrem im Juni 1999 herausgegebenen Manifest gegen die Arbeit  die „Herrschaft der toten Arbeit“ und erklärt:  „Ein Leichnam beherrscht die Gesellschaft - der Leichnam der Arbeit. Alle Mächte rund um den Globus haben sich zur Verteidigung dieser Herrschaft verbündet: Der Papst und die Weltbank, Tony Blair und Jörg Haider, Gewerkschaften und Unternehmer, deutsche Ökologen und französische Sozialisten. Sie alle kennen nur eine Parole: Arbeit, Arbeit, Arbeit! Wer das Denken noch nicht verlernt hat, erkennt unschwer die Bodenlosigkeit dieser Haltung.“ Und der Schlußsatz dieses Manifests lautet: „Proletarier aller Länder, macht Schluss!“

Wachstum und Beschäftigung

Der von der neoliberalen Allianz, die in Deutschland von der CSU bis zu den Bündnisgrünen reicht, bis zum Überdruss und ohne jegliche Rücksicht auf vorgetragene Einwände behauptete Kausalitätsfolge: Steigende Unternehmensgewinne  führten zu mehr Investitionen, diese zu mehr Arbeitsplätzen, damit zum Abbau von Arbeitslosigkeit- war schon immer eine ideologische Übertreibung. Auch in einer Zeit, da dieser Zusammenhang um einiges stringenter war als heute, vermerkte Professor Karl Schiller,  , 1971-76 Bundeswirtschaftsminister in der Großen Koalition, dass zwar für genügend Wasser in den Trögen gesorgt worden sei, „die Pferde aber saufen nicht“. Heute ist der Zusammenhang zwischen Unternehmensgewinn, Wachstum und Beschäftigung viel schwächer: Höhere Gewinne bedeuten nicht unbedingt mehr Investitionen in die Realwirtschaft: Gewinne fließen zunehmend in das Geldsystem selber, Produktion wird nicht erweitert, sondern existierende Unternehmen aufgekauft. Und Investitionen schaffen nicht entsprehend mehr Arbeitsplätze, sondern werden für deren abschaffung eingesetzt.

Es kann also bezweifelt werden, ob es der jetzigen Bundesregierung gelingt, wie von ihr angkündigt, die Bschäftigungswirksamkeit des Wirtschaftswachstums auf ein Prozent herunter zu dücken. Dass Wirtschaftswachstum aber für die Beschäftigung jede Bdeutung vrloren habe, ist auf jeden Fall  wohl nicht zutreffend.

Fortschreitende Sättigung materieller Bedürfnisse?

Das Schlüsselargument für die das behauptete „Ende der Arbeit“ und die Ablehnung des Wirtschaftswachstums ist die Bejahung dieser Frage.  Nicht der arbeitssparende technische Fortschritt schlechthin, sondern das Dilemma von technischen Fortschritt einerseits und gleichzeitig fortschreitender Bedürfnissättigung vermöchten ein „Ende der Arbeit“ zu erklären. Arbeitssparender technischer Fortschritt kann nur dann zu einem Versiegen des Vorrats an sinnvoller Arbeit führen, wenn durch ihn mehr Arbeit gespart als durch  neue Arbeitsfelder sinnvolle Arbeit gewonnen wird Die Verkünder einer „Wende zum Wniger“ umgehen die  folgende Frage (oder sehen sie gar nicht): Warum sollte, entgegen aller bisherigen Erfahrung, die menschliche Phantasie in der Hervorbringung immer neuer Bedürfnisse hinter der Phantasie zurückbleiben, die neue Bedürfnisse zeugt? Wie wären wohl die Prognosen über die Zukunft der Arbeit ausgefallen, wenn zum Beispiel am Beginn der industriellen Revolution nur an das damalige Bedürfnisspektrum von Ernährung, Kleidung und Wohnung gedacht worden wäre und nicht  auch an  Eisenbahn, Telegrafie, Chemie, Elektrizität, Auto, Flugzeug usf?

Die Annahmen vom „Ende der Arbeit“, vom Erlahmen des Wirtschaftswachstums  ist nichts anderes als die Annahme, die menschliche Phantasie sei fruchtbarer, ergiebiger im Finden immer neuer Möglichkeiten von Arbeitserparnis im Vergleich zur menschlichen Phantasie im Finden immer neuer Bedürfnisse. Das aber ist ein fundamentaler Irrtum, jedenfalls nicht bewiesen. Die Verkünder des “Endes der Arbeit“ bemühen sich gar nicht erst um solche Nachweise. Geradezu axiomatisch nehmen sie an, dass technischer Fortschritt nicht nur Einsatz von mehr Technik, sondern von wirksamerer Technik bedeutet, auf der Bedürfnisseite aber vernachlässigen sie qualitative Veränderungen, das Auftauchen neuer Bedürfnisse. Was die Bedürfnisse angeht, dominiert eindeutig die schlichte Extrapolation, die Verlängerung bisheriger Entwicklungslinien, die quantitative Vergrößerung früherer und heutiger Strukturen. Solches Vorgehen führt immer zum Punkte „weiter geht’s nicht“, zur „Sättigung“. Es sind dann immer solche erschlagenden Argumente wie: In Deutschland hat nun fast jeder Erwachsene ein Auto, sollen es mal zwei oder gar drei sein? Sollen die Enkel der heute 25 Jährigen denn wirklich das 8fache konsumieren?

Extrapolationen  bisheriger Trends sind nur nützlich als Hilfsmittel für die Einsicht in notwendige Trendwenden. Wenn es jemandem, so habe ich irgendwo gelesen,  um 1700  gelungen wäre, die in der Stadt London heute durch „nichtpedalen“ städtischen Nahverkehr absolvierten Personen/Kilometer richtig zu schätzen, hätte ein Nebenresultat seiner Berechnungen sein müssen, dass die Stadt London lange vorher unter einem gewaltigen Pferdedunghaufen verschwunden sein muss, denn für solchen Verkehr standen damals nur Reit- und Kutschpferde zur Verfügung. Diese Überlegung hätte also zum Gedanken hinführen müssen, dass städtischer Nahverkehrs irgendwann durch andere Kräfte als Pferdestärken bewältigt werden muss. Sind wir nicht mit der Autogesellschaft wieder an einem ähnlichen Punkte angelangt wie am Ende der Kutschen- und Reiterzeit?

Qualitative Umschläge, neue Entwicklungstrends sind aber durchaus nicht nahe liegend, keine bevorzugten Früchte des gesunden Menschenverstandes. Nicht etwas Ähnliches wie heutige Kommunikationstechnik, sondern ein europaweites Rohrpostsystem am Ende des 20. Jahrhunderts wurde an seinem Anfange prognostiziert.

Wer hätte auch zu Goethes Zeiten sich vorstellen können, dass man von Weimar aus sich mit jemandem in Jena oder Rom, oder gar in Peking, Tokio in Echtzeit unterhalten könnte? Oder dass man von Frankfurt/M.  aus Rom binnen zwei Stunden erreichen könnte.

Paradoxerweise sind am Anfang dieses Jahrhunderts, das als Risikozeitalter, als Zeitalter der Unwägbarkeiten angekündigt wird, die Gewissheiten darüber, welche Veränderungen in den fundamentalen Existenz- und Entwicklungsbedingungen der Gesellschaft ins Haus stehen, zahlreicher und in den Konturen deutlicher als zu Beginn der vorangegangenen Jahrhunderte der Neuzeit. Entwicklungslinien, die sich im Industriezeitalter herausgebildet, im letzten Jahrhundert verfestigt haben, sind in ihren bisherigen Verläufen nicht fortsetzbar, Trendwenden unvermeidlich. Dazu gehören vor allem die Entwicklung der Weltbevölkerung, Eine Verdreifachung wie im vergangenen Jahrhundert ist nicht möglich, zweitens die Raten der Stoffentnahmen aus dem Naturhaushalt, seiner Belastung mit den Exkrementen menschlicher Aktivität müssen nicht nur auf Null, sondern auf negative Werte zurückgefahren werden. Das fossile Zeitalter geht im 21. Jh. zu Ende. Drittens: die sozialen Disparitäten können nicht fortgesetzt vergrößert werden. „Ich sehe ein blutiges Jahrtausend“ schrieb Umberto Eco. Niicht nur soziale Klassen, sondern ganze Völker, Völkerschaften  werden sich mit der ungerechten Weltordnung nicht auf Dauer abfinden wollen.

Von fortschreitender Sättigung menschlicher Bedürfnisse kann in vieler Hinsicht nicht die Rede sein:

Erstens deshalb nicht, weil selbst elementare Bedürfnisse der Mehrheit der Weltbevölkerung, zu geringerem Tel auch in den reichen Ländern, unzureichend befriedigt werden. Es haben in Deutschland nicht fast alle von fast allem genug; ich auch nicht. Und „fast alle“ sind eben nicht „alle“, wie es eine gerechte Gesellschft verlangte.

Zweitens deshalb nicht, weil die notwendigen Trendwenden vornehmlich durch Befriedigung neuer Bedürfnisse mit neuen Arbeitsfeldern bewältigt werden müssen, durch Umstellung der Ressourcenlagen, durch neue Dimensionen in der Nutzung geistiger Ressourcen und durch fortschreitende Umstellung der Stoff- und Energiequellen auf nachwachsende und solare Quellen.

Drittens deshalb nicht, weil technischer Fortschritt Bedürfnishorizonte erweitert, latente Bedürfnisse, im Reiche der Phantasie schlummernd, in den Bereich des real Möglichen rückt. Das Bedürfnis des Fernsehens entstand als reales akutes Bedürfnis erst nach der Erfindung des Fernsehapparates. Wenn also zum Beispiel die Zerstörung oder Ablenkung von Kometen, die auf unseren Planeten zurasen, praktisch-technisch möglich wird, werden die entsprechenden Abwehrsysteme auch geschaffen werden müssen. Die Menschheit wird das Risiko nicht eingehen, von einer Zusammenprall-Katastrophe, welcher die Dinosaurier zum Opfer gefallen sind, heim gesucht zu werden, sobald sie solches Risiko verhindern kann.

Viertens deshalb nicht, weil eine neue Quelle menschlicher Bedürfnisse gerade dem Umstande entspringen wird, dass praktisch-technologische Möglichkeiten in viel geringerem Maße, vielleicht nur noch zum Bruchteil,  der Herstellung des Lebensnotwendigen dienen.

Wer sagt denn, dass das Komplement  der Sättigung heutiger Bedürfnisse nur die Freizeit sein soll. Wieso soll das Komplement der Arbeit gar nur die Faulheit sein, wie dies Paul Lafargue in seinem Büchlein „Lob der Faulheit“ behauptet. Ist die Faulheit als Alternative zur Arbeit nicht vor allem den elenden Verhältnissen in der arbeit und ihrer Überlänge geschuldet?

Ich könnte mir vorstellen, dass, wären Zeit und die nötigen Ressourcen mobilisierbar, ein massenhaft akutes Bedürfnis nach Wiederherstellung Trojas, des alten Babylon, der Hauptstädte der Azteken und der Majas vor dem Untergange ihrer Reiche entstehen könnte. Und zwar nicht als Museen, sondern als alternative Lebenswelten. Die Sehnsucht nach einem anderen Leben kann eine unübersehbare Vielfalt von Lebensformen, Bedürfnissen, Arbeiten hervorbringen und brauchte sich dann nicht auf primitive Alternativen zur modernen Welt, auf das „Aussteigen“, oder auf kanadisches Blockhüttendasein zu beschränken.

Ausmaße nicht technisierbarer Arbeit nehmen zu

Technischer Fortschritt wird auch künftig, vielleicht in noch größerem Ausmaße, in höherem Tempo menschliche arbeit substituieren. Abgesehen davon, dass die Hervorbringung solchen Fortschritts neue Arbeit schafft; abgesehen vom „additiven technischen Fortschritt“, der neue arbeit schafft, abr keine Arbeit ersetzt, wie die Medizintechnik in vorwiegendem Maße: Der Vorrat an sinnvoller Arbeit wird auch deshalb niemals aufgezehrt werden, weil manche Tätigkeiten nicht oder nur sehr schwer technisierbar sind. Und weil der Mensch sie - gerade vom Sinn menschlicher Arbeit her, das menschliche Leben zu verbessern - nicht wird technisieren  w o l l e n. Wenngleich auch mit der Technisierung im Bereiche geistiger Tätigkeiten sich  das Anwendungsfeld für Technik schnell und erheblich erweitert, viele Dienstleistungsbereiche (Banken, Vericherungen zum Beispiel) relativ weniger Arbeitskräfte binden als vor zehn Jahren noch, bleiben  große Bereiche gesellschaftlicher Arbeit der Technisierung wenig oder gar nicht zugänglich oder ihre Technisierung würde einen wirklichen Bedeutungsverlust  dieser Arbeit für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse nach sich ziehen.

Das gilt für alle Arbeiten, deren Hauptmoment menschliche Kreativität ist (künstlerische Arbeit vor allem); es gilt aber auch für den Großteil der Arbeiten, die direkte Leistungen für den Menschen sind (vom Friseur über Arzt und Krankenpfleger, Schauspieler und Bedienpersonal in Hotel und Restaurants). Wenn die wachsende Apparate-Ausstattung in Krankenhäusern und ärztlichen Kliniken nicht auch dazu beiträgt, daß für die direkte menschliche Zuwendung des Arztes, der Krankenschwester und des Pflegers zum Patienten nicht mehr Zeit gewonnen wird, hat sie einen Großteil ihres Effekts nicht erreicht.

Über romantische Verklärung und  realistische Sichten

Die Verkünder der „Wende zum Weniger“ haben es leichter als unsereins. Was ist schon „der graue Beton“ gegen „die grüne Natur“ Solche Worte sprechen für sich, ihnen   muss kein Kommentar, keine Wertung angefügt werden. Dass niemand aus den Betonhäusern in die Naturhöhlen zurück will, ist ausgeblendet.    „Viele wollen zurück zur Natur, aber bloß nicht zu Fuß“

Romantische Verklärungen tun in dieser geld-rationalisierten Welt der Seele gut. Es gibt aber auch bittere historische Erfahrungen darüber, wie sie in die Irre, ins Fundamentalistische, ins Antihumane führen können. Und zwar im Maße, wie sie die Ratio verdrängen. In keiner anderen Debatte unter den Linken ist dies so weit gediehen wie in dieser um Wirtschaftswachstum, die Zukunft der Arbeit und die materiellen Bedürfnisse. Sie reichen bis zu „Fassungslosigkeit“ darüber, wie der andere nur solche andere Meinung haben kann. Gerade in di8eser Debatte ist an die Beteuerungen zu erinnern, dass wir doch alle für die „Kultur des Streits“ sind. Gerade in dieser Debatte brauchen wir Zeit und Geduld und die Anstrengung des Zuhörens.

Der Ausweg aus dieser Lage kann nicht gefunden werden, indem die Kontrahenten immer noch eins draufsetzen, den streit verbal verschärfen.

Er kann nur gefunden werden durch das bemühen, die  Beweggründe der Widersacher zu ergründen. Nicht nur, um  ihnen verständnisvoller zu begegnen. Sondern vor allem, um nützliche Anregungen aufzuspüren, die Anregungen auch für das Weiterdenkien der eigenen Position sein können.

In diesem Streit um eine „Wende zum Weniger“ ist die Schrift „Das Recht auf Faulheit. Gegen das Recht auf Arbeit von 1848“ von Paul Lafargue, dem Gatten der Marx-Tochter Laura wieder zur aktuellen sozialistischen Literatur geworden. Arbeit sei keine anthropogene, sondern eine erworbene menschliche Fähigkeit, sie gehöre  nicht zu den dem Menschen wesenseigenen, sondern zu den ihm eingeredeten oder ihm aufgezwungenen Äußerungen, Faulheit sei der Naturzustand des Menschen, anzusehen in der Lebensweise der „schönen Wilden“  „Alles individuelle und soziale Elend entstammt seiner (des Proletariats) Leidenschaft für die Arbeit“ meint Lafargue.

Mit den Ansichten Lafargues geht es mir so wie mit den DDR-Witzen. Über viele, über die ich zu DDR-Zeiten herzlich lachen konnte, kann ich nicht mehr lachen, zum Beispiel über den mit den fünf Stadien des NÖS: das viere Stadium sei die Bestrafung  ihrer Erfinder und das fünfte die Auszeichnung der Unbeteiligten Ich kann deshalb nicht mehr darüber lachen, weil, was damals als Satire, als Karrikatur gemeint war,  nun wörtlich, als reine Wahrheit genommen wird.  Man sollte Lafagues  Vision von der Drei-Stunden-Woche so ernst nehmen, wie er seine eigene Arbeit ernst nahm: „Der ‚Erfinder’ des Rechts auf Faulheit ist rastlos im Dienste des Sozialismus unterwegs“ (Stefanie Holuba). Von diesem berühmten und erfolgreichen Publizisten und Agitator im Dienste der Internationale anzunehmen, er hielte allen Ernstes das Proletariat für den Hauptschuldigen an den kapitalistischen Zuständen, ist mir ganz und gar unmöglich. Nimmt man aber seine Schrift als Gesellschaftssatire, kann und soll man sie ernst nehmen,  erschließt sie einen Ideenhorizont, der verengte bis bornierte Sozialistenvorstellungen aufzubrechen vermag, sichtbar macht, wie  das Recht auf Arbeit verklammert wird mit ausbeuterischer  Arbeitsethik. Darf angesichts individueller Befriedigung, Selbstverwirklichung  im menschlichen Schöpfungsakt der Arbeit vergessen werden, dass der Arbeiter im Kapitalismus ein ihm fremdes, ihm nicht gehörendes Produkt erzeugt?  Müssen Sozialisten nicht grundsätzlich für die Dominanz der Lebenszeit über die Arbeitszeit streiten? Gehören zu den sozialistischen Leitbildern für „gutes Leben“ nicht auch die Rückbesinnung auf gesunde, natürliche Verhältnisse?  Wer Lafargue widersprechen will, muss sich zu Antworten auf solche Fragen durcharbeiten.

Angesichts der Kompliziertheit dieser Gegenstände  sollte bedacht werden, dass sie nur dialektisch gefasst werden können, dass eindimensionales Denken, extrpolative Verlängerungen die Wahrheit nicht vertiefen, sondern ab bestimmten Punkten von ihr wegführen. Genau das sind die Pfade ins Fundamentalistische. Um es prägnanter mit Tucholsky zu sagen: Das direkte Gegenteil von einem Fehler ist oft nur ein anderer Fehler. 

Woran, an wem liegts?

Die Meinungsverschidenheiten in diesen Fragen  betreffen aufs engste auch die Frage, welches die Ursachen der gegenwärtigen Zivilisationskrise sind. Sehen wir sie darin, dass der durch die Produktivkraftentwicklung gebotenen Notwendigkeit einer „Wende zum Weniger“ ausgwichen, nicht entsprochen wird, kommt das Kapital als Verursacher dieser Krise relativ gut weg. Das ist natürlich kein Argument, aber ein Verweis darauf, diese Fragen gründlich zu durchdenken.

Wenn der technologische fortschritt die hauptursache  der Arbeitslosigkeit sein soll, dann ist es eben nicht das Unvermögen des Kapitals, den Vorrat an sinnvoller

Arbeit und das vorhandene Arbeitsvermägen zusammen zu bringen.

Wenn  die Hauptursache der Zivilasarionskrise die Verweigerung der durch die Produktivkraftentwicklung angeblich notwendigen „Wende zum Weniger“ sein soll, wird nicht nur der Vermehrungstrieb des Kapitals, sondern auch der Vermehrungstumstrieb menschlicher Bedürfnisse für diese Krise verantwortlich gemacht.

Eine  Nebenbemerkung: Mir scheint, dass in der linken Kritik eines ausufernden Konsumismus der Lixuskonsum der Reichen, der nach aktuellen Angaen des einzelhandels ebens stark wächst wie der Billigwaenumsatz, zu kurz weg kommt.

Kritisiert wird häufig nur das Steigen der Massenkaufkraft, kaum der parasitäre Konsum der  Superreichen. „Wir“ hätten angeblich von fast allem genug.

Produktivkraftentwicklung wie Bedürfnisentwicklung sind nicht aufzuhalten. Andere Vorstellungen vom „guten Leben“ sind möglich, nicht aber die Unterdrückung des Triebs nach einem besseren leben. Was not tut, sind Wege, ihre Wechselwirkungen auf eine neue Weise zu gestalten, die das menschliche Leben am besten befördert, bereichert.

Nicht gehaltener Disk.-beitratg vor dem 8. PDS-Parteitag in chemnitz Sept. 2003  

Liebe Genossinnen und Genossen,

 

 Einige Bemerkungen zur politischen Kultur in der PDS.. Die ist, und das seit längerem, miserabel. Sie  hat erheblichen Schaden gelitten durch Anbiederung an den Zeitgeist, durch Anpassung bis zum Verlust der Eigenkenntlichkeit. Durch massive Versuche, Andersdenkende nicht per Argument, sondern per Diskriminierung aus der PDS herauszudrängen oder wenigstens zum Schweigen zu bringen.

Meine Vorschläge:

1. Wir müssen uns wieder auf den Meinungspluralismus in der Partei besinnen. Selten nur noch ist  in der PDS von der Freiheit des Andersdenkenden die Rede. Der Andersdenkende heißt jetzt „Bedenkenträger“. „Bedenkenträger“ ist eine originäre PDS-Wortschöpfung. Ein Schimpfwort. Aufforderungen,  Andersdenkende hinauszugraulen, sollten sofort und entschieden zurückgewiesen, vereitelt werden. Schluß auch mit anonymen Verdächtigungen. Wer die so oft verdächtigten Dogmatiker sind, vor allem auch, um welche Dogmen es sich hier handelt, würde ich gern erfahren.

Keineswegs geht es darum, aus Höflichkeit oder aus politischem Kalkül uns in den nötigen Debatten gegenseitig irgend etwas zu schenken. In der argumentativen Kritik der anderen Meinung ist Rücksichtslosigkeit nötig, unterlassen müssen wir aber die Kritik der anderen Person als Person, weil die eine andere Meinung hat

 

2. Die Parteireform sollte  alle Deformierungen  der innerparteilichen Demokratie endlich ausräumen. Der beste Satz des Berliner Antrags, ist: Die Souveränität der Basis ist zu stärken. Wir sollten uns wieder bewusst machen: Der Souverän ist nicht der Vorstand, nicht einmal der parteitag, sondern das Volk bzw. die Mitgliedschaft.  Es gibt in der PDS zu große Brüche zwischen dem Willen der Basis, der Verbiegung  in Richtung obrigkeitlicher Anpassung schon auf Bezirksebene. Verständlich, dass zu Delegierten von Parteitagen fast nur Amts- und Mandatsträger gewählt werden; es sind die Bekanntesten, zum Großteil auch Verdienstvollsten. Dennoch halte ich eine bescheidene Quotierung – ein Drittel der Delegierten sollten nicht Amts- und Mandatsträger sein – wie auch Dieter Dehm dies vorgeschlagen hat, für sinnvoll. Auch über  Elemente unmittelbarer Demokratie u.a. ist nachzudenken.

Ich glaube nicht, dass es noch eine andere Partei gibt, deren Obrigkeit so übel mit ihren Mitgliedern, mit ihrer Klientel umgeht wie die PDS. Die  aus der SED kommenden PDS-Mitglieder sollen nun einsehen, dass sie einem verbrecherischen System gedient haben; einem System, nicht so verbrecherisch wie das Nazisystem, in mancher Hinsicht aber auch totalitärer. Natürlich fragt man sich da: Bin ich noch in der richtigen Partei? Nicht wenige, und keineswegs rückwärtsgewandte Nostalgiker, haben diese Frage für sich verneint. Wer da mit den vielen Stimmen trösten will, die wir dennoch erhalten haben, sollte nach den Befindlichkeiten derjenigen fragen, die trotz Bedenken, Verunsicherung PDS gewählt haben.

 

3. In der  Geschichtsdebatte sollten wir den Faden wieder aufnehmen, wie er in den Arbeiten von Michael Schumann, in Verlautbarungen der Historischen Kommission, gesponnen wurde. Eine eigenständige Geschichtsforschung wurde durch weitgehende Übernahme der CDU/SPD-Wertungen faktisch abgebrochen. Hier sind ein neuer Anfang und systematische Arbeit nötig. Erst dann werden auch die herben und notwendigen Urteile über die DDR, wie sie zum Gründungskonsens der PDS gehören, wieder deutlich hervortreten. Mit „Es war auch nicht alles schlecht“ ist es nicht getan.

4. Die Programmdebatte muss möglichst schnell in die Öffentlichkeit. Als seit Jahresfrist regelmäßiger Gast der Programmkommission kann ich bezeugen, dass hier eine systematische, intensive Arbeit geleistet wird, dank vor allem auch der Arbeit ihrer Vorsitzenden und ihres Sekretärs. Es stehen hier sehr schwierige Fragen an, die der geistigen Anstrengung der Mitgliedschaft bedürfen und die uns zugleich hineinführen in die partei- und länder-übergreifenden Debatten unter den Linken. Zum Thema Arbeit zum Beispiel gab es in der Programmkommission sehr kontroverse Auffassungen darüber, welchen Wert wir der Arbeit im menschlichen Leben noch beimessen wollen. Wie verhalten wir uns zu der vor allem unter den Linken verbreiteten Auffassung eines bewußten Ausstiegs aus der Arbeitsgesellschaft, wofür Ostdeutschland ein Experimentierfeld abgeben soll. Welche Eckpunkte sind angesichts deutlicher Erosion des industriellen Normalarbeitsverhältnisses in veränderten Arbeitsverhältnissen zu setzen? Wie verändern sich Interessenlagen der Beschäftigten angesichts der gravierenden Veränderungen in der Arbeitswelt? Wie stellen wir uns zu Belegschaftsbeteiligungen, zum Arbeitskraft-Unternehmer-Konzept?

Ohne gemeinschaftliche intellektuelle Anstrengung, ohne auch aktive Beteiligung durch eine in ihrem  Selbstwertgefühl gestärkte Parteibasis werden wir diese Debatten nicht erfolgreich führen können.